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Phasendiagramm der Verkehrszustände

Die beobachteten Staumuster lassen sich durch ein sogenanntes "Phasendiagramm" erklären. Das Phasendiagramm gibt die Art des Staus in Abhängigkeit der Stabilitätseigenschaften des Verkehrsflusses, des Verkehrsaufkommens und der Stärke der stauverursachenden Engstelle an. Im Fall von simulierten Staus hängt das Phasendiagramm auch vom simulierten Fahrstil, also von den Parametern des verwendeten Modells ab.

Stabilitätseigenschaften

Jeder kennt das Phänomen: Der Vordermann (oder die Vorderfrau) bremst. Bis man nun selbst reagieren und bremsen kann, ist der Sicherheitsabstand unterschritten. Um den gewünschten Abstand wieder zu erreichen, muss man kurzfristig langsamer fahren, also stärker abbremsen. Dasselbe geschieht anschließend mit dem Fahrzeug dahinter, welches noch mehr abbremsen muss, bis letztendlich ein "Stau aus dem Nichts" entstanden ist. Dieser Teufelskreis kann bei beliebigem Verkehrsaufkommen durch

  • hohe Agilität,
  • vorausschauendes Fahren,
  • und nicht zu kleinem Sicherheitsabstand

vermieden bzw. überwunden werden.

Bei geringem Verkehrsaufkommen kommt es unabhängig von der Fahrweise nicht zum Aufschaukeln: Dann hat sich ein Fahrer auf Bremsaktionen des Vorderfahrzeugs bereits "eingepegelt", bis sich das nächste Fahrzeug von hinten nähert.

Illustration der Stabilität
Verschiedene Arten von Instabilität

Die Illustration zeigt diese Instabilität durch die Entwicklung der mittleren Geschwindigkeit einer Kolonne von Fahrzeugen in Raum und Zeit, nachdem anfangs am Ort x=0 eine kleine Störung im Verkehrsfluss stattgefunden hat. (Solche Störungen, beispielsweise durch normale Spurwechsel, gibt es immer im realen Verkehr.) Je nach Agilität der Fahrer ist diese Instabilität unterschiedlich stark ausgeprägt:

  • Hohe Agilität (links oben): Die anfängliche Geschwindigkeitsstörung durch leichtes Bremsen eines Fahrzeugs verschwindet mit der Zeit.
  • Mäßig hohe Agilität (rechts oben): Die Geschwindigkeitsschwankungen schaukeln sich auf, jedoch nur in einer Richtung, und zwar entgegen der Fahrtrichtung. Diese milde Form der Kolonneninstabilität bezeichnet man auch als konvektive Instabilität. Früher oder später wird sie nämlich aus dem System "herausgeschwemmt".
  • Träge Fahrweise (rechts unten) führt zu starken Schwankungen, die sich in beide Richtungen ausbreiten und schließlich überall zu Stop-and-Go-Verkehr führen.

Stabilitätsdiagramm

Stabilitätsdiagramm
Stabilitätsdiagramm für eher agile Fahrer
Stabilitätsdiagramm
Stabilitätsdiagramm für eher trägere Fahrer

Neben dem Fahrstil der Fahrer hängt die Stabilität auch von der Verkehrsdichte ab. Weiterhin steht die Verkehrsdichte über das sogenannte Fundamentaldiagramm in Beziehung zum mittleren Verkehrsfluss, also zu der Anzahl der Fahrzeuge, welche pro Zeiteinheit und Spur eine feste Stelle passieren. Beide Eigenschaften lassen sich in sogenannten Stabilitätsdiagrammen zusammenfassen (links eines für eher agile Fahrer und rechte für trägere Fahrer):

Die Diagramme zeigen einerseits den Verkehrsfluss Q in Abhängigkeit der Verkehrsdichte ρ (schwarze Kurven), also das "Fundamentaldiagramm". Zum Anderen sind, durch senkrechte Linien, die Bereiche angegeben, in der der Verkehr eine der obigen drei Arten der Instabilität aufweist:

  • Verkehr ist kolonnenstabil links der roten Geraden (freier Verkehr geringer Dichte). Für agilere Fahrer ist er auch rechts der durchgezogenen blauen Linie (nahezu stehender Verkehr) stabil.
  • Verkehr ist konvektiv instabil innerhalb des von ρcv bis ρ3 abgegrenzten Dichtebereichs,
  • Verkehr ist absolut instabil im Dichtebereich zwischen ρ2 und ρcv. Bei den agileren Fahrern kommt diese Situation allerdings gar nicht vor.

Zusätzlich gibt es noch metastabile Dichtebereiche zwischen ρ1 und ρ2 sowie zwischen ρ3 und ρ4. In diesen Bereichen führt nur eine starke Störung (z.B. eine Vollbremsung) zum Zusammenbruch während schwächere Störungen verschwinden.

Vom Stabilitäts- zum Phasendiagramm

Das Stabilitätsdiagramm ist im unendlichen homogenen System (unendlich lange Straße bzw. sehr lange Ringstraße) definiert. Nahezu alle Staus auf echten Straßen werden aber durch Engstellen verursacht. Der entscheidende Punkt bei Engstellen ist ihre Durchlasskapazität bzw. die Engstellenstärke. Diese ist als Differenz zwischen der Straßenkapazität außerhalb der Engstelle und der Durchlasskapazität definiert. Mit der Durchlasskapazität lässt sich das Stabilitätsdiagramm auf reale Systeme anwenden. Man muss es allerdings in Abhängigkeit des Flusses und nicht der Dichte lesen, also x- und y-Achse vertauschen:

  • Bei freiem Verkehr ist die relevante Flussstärke gleich dem Verkehrsaufkommen bzw. gleich der stromaufwärtigen Nachfrage auf der Strecke. Die Stabilität ist im Stabilitätsdiagramm links des Flussmaximums, also vom freien Zweig des Fundamentaldiagramms, abzulesen.
  • Nach einem Verkehrszusammenbruch ist die Flusstärke durch die Durchlasskapazität der Engstelle gegeben. Die Stabilität ist im Stabilitätsdiagramm rechts des Flussmaximums, also vom gestauten Zweig des Fundamentaldiagramms, abzulesen.

Dadurch ergibt sich, je nach Verkehrsaufkommen, Engstellenstärke, Stärke der anfänglichen Störung im Verkehrsfluss sowie der Agilität der Fahrer, entweder freier Verkehr oder verschiedene Arten gestauten Verkehrs, die sich in charakteristischen Ausbreitungseigenschaften, also den Staumustern in Raum und Zeit, unterscheiden.

Phasendiagramm
Phasendiagramm für eher agile Fahrer

Jedes dieser Staumuster wird auch als dynamische Phase bezeichnet. Die systematische Auftragung der Staumuster in Abhängigkeit der Einflussgrößen (Verkehrsaufkommen, Engstellenstärke sowie Fahrstilparameter bzw. Modellparameter) wird als Phasendiagramm bezeichnet.

Das abgebildete Phasendiagramm für eine Zufahrt als Engstelle (Engstellenstärke gleich Rampenfluss Qrmp) folgt aus dem Stabilitätsdiagramm für eher agile Fahrer. Es ist für die meisten Autobahnen zutreffend. Die Staumuster dieses Phasendiagramms lassen sich folgendermaßen erklären:

  1. Freier Verkehr: Bei geringer Störung immer, wenn die Summe der Verkehrsaufkommen Qmain und Qrmp auf Hauptsrecke und Zufahrt unterhalb der Kapazität Qmax der freien Strecke bleibt. Bei großen Störungen (Vollbremsungen, abrupte Spurwechsel etc.) bricht der Verkehr schon wesentlich eher zusammen. Beides folgt aus der Tatsache, dass freier Verkehr am Flussmaximum metastabil und nur für kleinere Flüsse (Nachfrage unterhalb uneingeschränkt stabil ist.
  2. Isolierte einzelne laufende Stauwellen ("MLC"): Diese entstehen bei starken Störungen im Verkehrsfluss (Jumborennen, starke Bremsungen/Spurwechsel), kleinen Engstellen und einem Verkehrsaufkommen Qmain oberhalb der der Dichte ρ1 entsprechenden Flusstärke Q1. Theoretisch können sie auch ohne jede Engstelle als "Stau aus dem Nichts" entstehen, in der Praxis gibt es jedoch immer eine solche, welche als schwächstes Glied wirkt.
  3. Homogener, leicht gestauter Verkehr ("HST"): Nur bei Engstellen mit einer Durchlasskapazität, welche größer als die der Dichte ρ2 entsprechenden Flusstärke Q2 ist, also bei minimaler Engstellenstärke.
  4. Stop-and-Go-Verkehr ("TSG" und "OCT"): Hier ist die Durchlasskapazität kleiner als Q2. Da der Verkehr aber nur konvektiv instabil ist, wachsen die Stauwellen nur in einer Richtung, nämlich in ihrer Ausbreitungsrichtung entgegen der Fahrtrichtung. Deshalb herrscht nahe der Engstelle im wesentlichen homogener gebundener Verkehr. Befinden Sie sich also im Stop-and-Go-Verkehr, haben Sie Pech: Es ist noch ein gutes Stück bis zur stauverursachenden Engstelle!
  5. Homogener zähfließender bis nahezu stehender Verkehr ("HCT"): Bei sehr starken Engstellen mit einer Durchlassfähigkeit unterhalb eines Flusses, welcher im Stabilitätsdiagramm der Dichte ρ3 bzw. ρ4 entspricht. Auf manchen Straßen bzw. für manche Modellparameter existiert dieser Bereich nicht, d.h. es bilden sich auch bei sehr hoher Dichte Stauwellen aus (solange der Verkehr nicht vollständig stillsteht).
  6. Stehende Stauwelle direkt an der Engstelle ("PLC"):Dies ist eine Folge der Metastabilität: Zur Entstehung ist eine starke Störung im Verkehrsfluss notwendig. Ferner Kombinationen von Verkehrsnachfrage und Engstellenstärke, welche auch freien Verkehr zulassen würden.

Phasendiagramm und Staumuster in der Simulation

Staumuster in der IDM-Simulation
Staumuster simuliert mit dem IDM

Zu sehen sind links die zu den einzelnen Phasen gehörigen Staumuster, wie sie aus Simulationen mit dem Intelligent-Driver-Model (IDM) resultieren. Die IDM-Modellparameter v0=120km/h, T=1s, s0=2m, a=1m/s2, b=1.5m/s2 entsprechen dem Stabilitätsdiagramm für eher agile Fahrer und dem in vorhergehenden Kapitel gezeigten Phasendiagramm.

Staumuster in der GKT-Simulation
Staumuster, simuliert mit dem GKT-Modell.

Die Herleitung des Phasendiagramms sollte sowohl für Mikro- als auch für Makromodelle gelten, sofern das Stabilitätsdiagramm dem in Kapitel Abschnitt 2 entspricht. Die abgebildete Simulation mit dem Gaskinetic-Based Traffic Model zeigt in der Tat keine wesentlichen Unterschiede.



Der Test mit der Wirklichkeit: Reale Staumuster

Staumuster auf der A5
Zu den Phasen gehörige Staumuster der A5

Der eigentliche Test muss natürlich mit real gemessenen Verkehrsdaten stattfinden. Tatsächlich lassen sich alle Staumuster in den Querschnittsdaten der Autobahn A5 bei Frankfurt wiederfinden, wenn man die Verkehrslage mit Hilfe der Verkehrsadaptiven Glättungsmethode rekonstruiert. Die gezeigten Staus sind der Bilder-Datenbank entnommen. Die meisten beobachteten Staus sind allerdings aus diesen "Elementarmustern" zusammengesetzt, siehe die Stylized Facts.

Referenzen

  1. Martin Treiber, Arne Kesting, Dirk Helbing: Three-phase traffic theory and two-phase models with a fundamental diagram in the light of empirical stylized facts, Transportation Research Part B: Methodological 44(8-9), 983-1000 (2010). Abstract, Preprint.

  2. Martin Treiber, Arne Kesting: Evidence of convective instability in congested traffic flow: A systematic empirical and theoretical investigation Transportation Research Part B: Methodological, Transportation Research Part B: Methodological 45, Issue 9, 1362-1377 (2011). Abstract

  3. Dirk Helbing, Martin Treiber, Arne Kesting, Martin Schönhof: Theoretical vs. Empirical Classification and Prediction of Congested Traffic States, The European Physical Journal B 69, 583-598 (2009). Abstract, Preprint.

  4. Dirk Helbing, Ansgar Hennecke, Martin Treiber: Phase Diagram of Traffic States in the Presence of Inhomogeneities, Physical Review Letters 82, 4360-4363 (1999). Abstract, Preprint.

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